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Der Umgang mit Beleidigungen

Viele Menschen ärgern sich oder werden agressiv, wenn sie beleidigt werden. Auch dies ist ein Phänomen, mit dem sich die Stoiker beschäftigt haben.

Obwohl auch Beleidigungen für den Stoiker zum Bereich des Indifferenten gehören, sind sie auch eine 'Gefahr' für seine Ausgeglichenheit. Vielleicht ist auch hier wieder unser evolutionäres Erbe am Werk.

Viktor Frankl und später auch Stephen Covey haben im 20. Jahrhundert in ihren Werken auf den Unterschied zwischen Reiz und Reaktion hingewiesen. Frankl war Psychiater und KZ-Insasse und entdeckte während seiner Leidenszeit, dass er trotz seiner schrecklichen Umstände (Reiz) wählen konnte, wie er darauf reagiert. Er nannte dies die letzte der menschlichen Freiheiten. Dieses Thema wurde von Stephen Covey in seinem Buch Die 7 Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg*, aufgegriffen ("1. Weg: Pro-aktiv sein"). Die Beleidigung setzt immer voraus, dass der Beleidigte sie zulässt.

Diese Freiheit, die Reaktion auf einen Reiz bewusst zu wählen, machen sich auch die Stoiker zunutze. Sie raten jemandem, der beleidigt wird, dazu, erst einmal darüber nachzudenken, ob der Beileidigende nicht vielleicht Recht hat. Dann sollten wir aus der Beleidigung etwas lernen.

Oder es könnte auch sein, dass der Beleidigende etwas glaubt zu wissen und auf dieser Basis eine Beleidigung ausspricht. In diesem Fall sollte der Stoiker - in aller Ruhe - die Sache richtig stellen.

Der Stoiker stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt in der Absicht des Anderen lag, ihn zu beleidigen. Ein Beispiel dafür ist, dass man sich, nachdem man kritisiert wurde, fragt, wie oft man andere schon kritisiert hat, ohne sie beleidigen zu wollen.

Auch die Frage nach der Reife des Beleidigenden stellt sich der Stoiker. Analog dazu, dass eine Mutter nicht vom Verhalten ihres kleinen Kindes beleidigt ist, sieht der Stoiker auch einen unreifen Erwachsenen als 'großes Kind' an. Dieser Rat stammt von Seneca.

Seneca rät uns auch dazu, einer Beleidigung mit Humor zu begegnen, statt mit einer Gegen-Beleidigung. Hier fällt mir als schönes Beispiel Cyrano de Bergerac ein, der seinen Kontrahenten die Spitzen nimmt, indem er sich selber elegant über seine riesige Nase lustig macht.

Haben wir gerade keine humorvolle Replik parat, so rät uns Gaius Musonius Rufus, sollten wir die Beleidigung einfach still hinnehmen. Das nimmt dann dem Beileidigenden vielleicht auch noch die Freude an der Beleidigung.

Unter gewissen Umständen halten es die Stoiker aber für sinnvoll, den Beleidigenden zu maßregeln. Dies ist dann der Fall, falls eine ausbleibende Reaktion seitens des Beleidigten dazu führen könnte, dass es zu einer 'Störung der Ordnung' kommen könnte, beispielsweise wenn der Beleidigende ein Schüler, Mitarbeiter oder Sklave ist. Seneca spricht davon, dass es hier darum geht, ein schlechtes Verhalten zu korrigieren, so wie man einem Tier 'schlechte Angewohnheiten' abtrainiert.



#stoizismus

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