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In Übereinstimmung mit der Natur leben

Im Artikel über den Begründer des Stoizismus, Zenon von Kition, schrieb ich, dass eine grundlegende Forderung dieser Philosophie die nach dem Leben in Übereinstimmung mit der Natur ist. Wie kam Zenon auf diese Idee?

Praktisch alle philosophischen Schulen zur Zeit Zenons stimmten darin überein, dass das höchste Ziel im Leben das (Streben nach) Glück ist (eudaimonía, εὐδαιμονία). Für Zeno manifestierte sich das Glück in einem gleichmäßig dahinfließenden Leben (euroia biou).

Zenon von Kition glaubte noch an die Götter seiner Zeit. Für ihn war der Mensch von den Göttern zwar mit einem 'göttlichen Funken' ausgestattet, aber auch 'unfertig'. Er glaubte, die Aufgabe eines jeden Menschen wäre es, sich selber zu 'vollenden', zu perfektionieren, und zwar mit Hilfe der Gabe, die uns von allen anderen Lebewesen unterscheidet: unserem Verstand. Die Natur des Menschen ist für Zenon daher, rational zu handeln. In Übereinstimmung mit der Natur zu leben, bedeutet also für ihn, unser Leben vor allem mit Hilfe unseres Verstandes zu gestalten. Er lehrte auch, dass die Natur zielgerichtet 'handelt' (dem Willen der Götter folgend). Wenn der Mensch in Übereinstimmung mit der Natur lebt, bedeutet dies, dass auch er zielgerichtet handeln muss.

Als Rollenmodell dient den Stoikern der Weise. Der Weise strebt die Fähigkeit an, zwischen gut und schlecht zu unterscheiden und entsprechend zu handeln (praktische Weisheit). Er beherrscht die vier Kardinaltugenden WeisheitGerechtigkeitMut und Selbstdisziplin. Die Stoiker sehen den Weisen als eine idealisierte Figur, ein Ziel, das man anstrebt. Sie verwenden den Begriff des Weisen also nicht für einen real existierenden Menschen.

Das Gute und das Schlechte liegt aus Sicht der Stoiker ausschließlich im Bereich unserer Kontrolle. Was nicht unserer Kontrolle unterliegt, ist für den Stoizismus indifferent, es betrifft den Menschen nicht in seinem Kern und sollte nicht im Fokus seiner Aufmerksamkeit stehen. Anders gesagt: wenn ein naher Verwandter stirbt, ist das nicht schlecht, sondern indifferent. Wie wir damit umgehen, ist dann gut oder schlecht. Das Gute und das Schlechte spielt sich also in uns ab und unterliegt unserer Kontrolle.

Diese Sicht des Stoizismus wird sicherlich vielen Menschen nicht gefallen. Doch sie bietet auch das Potential, dass wir selber über Macht über das Gute und Schlechte haben.

Diese Idee, zwischen dem zu unterscheiden, was wir kontrollieren können und dem, was wir nicht kontrollieren können, findet sich auch im 20. Jahrhundert wieder. Man findet diesen Gedanken beispielsweise bei dem Begründer der Logopädie und Existenzanalyse, dem österreichischen Psychiater und KZ-Überlebenden Victor Frankl und auch im bekannten Bestseller Die 7 Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg* von Stephen Covey.

Auch das bekannte Gelassenheitsgebet spiegelt diesen Aspekt des Stoizismus wieder:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Es geht also im Stoizismus darum, sich selbst zu vervollkommnen durch die konsequente Anwendung des eigenen Verstandes und zur Akzeptanz dessen, was wir nicht beeinflussen können. Um das zu erreichen, müssen wir uns selbst (innere Natur) und 'die Welt' (äußere Natur) verstehen.



#stoizismus

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