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Die drei Disziplinen des praktischen Lebens

Der Stoizimus-Forscher Pierre Hadot hat drei im Alltag des Stoikers praktizierte Disziplinen herausgearbeitet.


Die erste Disziplin sind das Verlangen (óreksis, ὄρεξις) und das Vermeiden (ekklisis, ἔκκλισις). Hier geht es darum, das Gute anzustreben und das Schlechte zu vermeiden. Wir erinnern uns: das Gute und das Schlechte unterliegen unserer vollständigen Kontrolle; was nicht unserer vollständigen Kontrolle unterliegt, ist indifferent. Hier geht es darum, sein Leben mit Selbstdisziplin und Mut zu führen und ungesundes Verlangen und Angst zu vermeiden. Anders gesagt, versucht man das eigene Leid zu verringern.

Die zweite Disziplin ist das Handeln (horme, Ὁρμή). Damit ist gemeint, das Richtige zu tun (Kathēkon, καθῆκον). Dies bezieht sich sowohl auf unser Handeln im engen familiären Umfeld als auch hinsichtlich des kollektiven Wohls im größeren Maßstab (z. B. Stadt, Staat, Menschheit). Für die Stoiker ist hier nicht der Erfolg wichtig, sondern der Versuch. Sie verwenden daher gerne die Reserveklausel (exceptio) 'falls das Schicksal es zulässt'. Wir würden heute sagen: 'falls nichts dazwischen kommt' oder vielleicht auch etwas großzügiger formuliert 'wir konzentrieren uns auf den Prozess, nicht auf das Ergebnis'.

Die dritte Disziplin ist schließlich die der Zustimmung (sygkatáthesis, sinkəˈtathəsə̇s). Dabei steht im Vordergrund, zwischen der Wahrnehmung und der Bewertung von Eindrücken zu unterscheiden. Heute würde man vielleicht sagen, dass man nicht vorschnell urteilen soll, sondern anhand der objektiven Informationen unter bewusstem Einsatz seines Verstandes eine subjektive Bewertung vornimmt. In moderner Form passt dazu vielleicht die Praxis, etwas erst einmal 'zu überschlafen', es zu 'überdenken' und nicht 'sofort aus dem Bauch heraus' eine Bewertung vorzunehmen.



#stoizismus

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