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Alles ist nur geliehen

In seiner Trostschrift an Marcia schreibt der stoische Philosoph Seneca:

"[..] Was es auch sein mag, o Marcia, was um uns her als von Außen uns zugefallen glänzt, Kinder, Ehrenstellen, Reichthümer, geräumige Vorsäle und von der Schaar nicht eingelassener Clienten wimmelnde Vorhöfe, eine berühmte, vornehme oder schöne Gattin und das Uebrige, was vom unsichern und veränderlichen Glück abhängt, alles das ist fremder und uns [nur] geliehener Prunk. Nichts davon wird uns als Geschenk gegeben; [nur wie] mit zusammengeliehenem und zu seinem Eigenthümer wiederzurückkehrendem Geräth wird die Bühne [des Lebens] geschmückt. (2.) Das Eine davon wird am ersten, das Andere am zweiten Tage wieder fortgetragen werden, [nur] Weniges wird und bis zu Ende verbleiben. Daher haben keine Ursache uns zu brüsten, als säßen wir in unserm Eigenthum; wir haben es [blos] geliehen bekommen. [..]"

Seneca schreibt seine Trostschrift an Marcia, um ihr über den Verlust ihres Sohnes hinweg zu helfen. Doch sein Rat ist weit darüber hinaus hilfreich.

Seneca sagt und hier, dass alles, was wir im Leben erhalten oder erreichen, vergänglich ist. Es wird uns gegeben und es wird uns genommen. Es ist also gewissermaßen nur geliehen. Verlieren wir etwas, das uns wichtig ist, so sollten wir uns an seinen Rat erinnern und uns darüber freuen, dass wir es 'ausleihen' durften, anstatt zu beklagen, dass wir es 'zurückgeben' mussten.

Hier sehe ich eine Parallele zum Buddhismus, der das Konzept des Anhaftens (Upādāna) kennt. Der Buddhismus warnt vor dem Anhaften, da es zusätzliches Leid erzeugt. Das Gegenmittel ist das Loslassen - genau wie bei Seneca!

Wer im Bewusstsein lebt, dass alles nur geliehen ist, geht bewusster mit dem, was er hat um. Ein Beispiel könnte sein, dass arbeitende Elternteile Wert darauf legen, möglichst viel Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, denn die Jahre der Kindheit sind vergänglich und unwiederbringlich.

Auch das eigene Leben ist nur 'geliehen'. Wir sollten es ebenfalls wertschätzen, hier und jetzt gut nutzen. Wir wissen nicht, wann es uns wieder 'genommen' wird. Das kann schon morgen der Fall sein.



#stoizismus

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